Forschung News
Leiterplatte aus einem Elektroschrott-Teil in der wässrigen Lauge - Photo: U Bergakademie Freiberg
03.10.2020

Kleine Helfer für die Metallgewinnung

Freiberger Forscher nutzen bakterielle Laugung zum Recycling von Elektroschrott

Biohydrometallurgen der TU Bergakademie Freiberg haben erstmals nachgewiesen, dass die Laugung mit Hilfe von Bakterien auch beim Recycling von Elektroschrott zur Trennung der Bauteile eingesetzt werden kann. Ihre Forschungsergebnisse zur Gewinnung von Metallen publizierte das Team um Professor Michael Schlömann nun in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift MDPI / Recycling.

Ein ausgedienter Computerchip liegt in einer wässrigen Lauge im Reagenzglas. Zunächst passiert fast drei Wochen lang nicht sehr viel am Versuchsstand von Benjamin Monneron im Labor der Arbeitsgruppe Umweltmikrobiologie der TU Bergakademie Freiberg. Doch dann fallen die einzelnen Bauteile von der Leiterplatte ab und sinken im Reagenzglas zu Boden als Benjamin Monneron daran rüttelt. Der Doktorand hat das alte Elektronikteil vor 20 Tagen in eine wässrige Lauge gelegt, die mit dem Mikroorganismus Acidithiobacillus ferrooxidans versehen ist.

Das mit bloßem Auge nicht sichtbare Bakterium hat die Fähigkeit, das Lötzinn durch Oxidation des hinzugefügten Eisens aufzulösen. Übrig bleibt die Leiterplatte selbst, die typischerweise Kupfer und Gold enthält, sowie diejenigen Komponenten, die mit dem Lötzinn an der Platine befestigt waren – zum Beispiel Dioden, Kondensatoren oder Widerstände. „Genau in diesen Komponenten stecken kleine Mengen strategisch wichtiger Metalle, wie Tantal, Ruthenium, Gallium oder Dysprosium“, erklärt Benjamin Monneron. Die Dioden, Kondensatoren oder Widerstände können nun durch Sortierung voneinander getrennt und dann weiterbehandelt werden. Und selbst aus der Lauge mit dem gelösten Lötzinn können in weiteren Schritten neben dem Zinn möglicherweise auch Kupfer und Silber zur Wiederverwendung gewonnen werden. „Biodismantling“ nennt der Doktorand den umweltfreundlichen Prozess des Ablösens der Komponenten von der Leiterplatte mit Hilfe der Bakterien.

Potenzial für Recycling von Seltenen Erden

Aus jeder einzelnen Komponente können nun die jeweils enthaltenen Metalle mit spezifischen Methoden für das Recycling aufbereitet werden, sei es über eine Laugung und Solvent-Extraktion oder über ein pyrometallurgisches Verfahren. „Der entscheidende Vorteil liegt darin, dass durch die Sortierung nach Typen von Bauteilen die darin enthaltenen seltenen Elemente sehr stark angereichert werden“, erklärt Prof. Michael Schlömann, der die Doktorarbeit von Benjamin Monneron am Institut für Biowissenschaften der TU Bergakademie Freiberg betreut. „Besonders interessant ist die neue Methode für die Seltenen Erden, die bei bisher entwickelten Recyclingprozessen in der Regel nicht aufbereitet werden können“, so der Biohydrometallurgie-Experte. So ergaben die Analysen von Benjamin Monneron, dass das Dysprosium durch ein Biodismantling mit nachfolgender Sortierung um den Faktor 140 angereichert werden könnte. „Damit erreicht man dann Konzentrationen, die denen der Lagerstätten, aus denen das Dysprosium üblicherweise kommt, entsprechen oder die sogar darüber liegen“, so Benjamin Monneron.

Bei herkömmlichen Prozessen, die derzeit in Forschung und Entwicklung zum Elektronikschrott-Recycling getestet werden, wird die gesamte Leiterplatte geschreddert und chemisch gelaugt oder thermisch behandelt. Nur die hoch konzentrierten Metalle können am Ende wiedergewonnen werden. “Kommen die Elemente in geringer Konzentration vor, ist das nur durch komplexe Verfahren und mit extrem hohem Energieaufwand möglich“, erklärt Prof. Michael Schlömann.

Weil die Trennung der Komponenten beim neuen Biodismantling-Prozess hingegen am Anfang steht, können die Bauteile separat behandelt und die entsprechenden Elemente dem Stoffkreislauf idealerweise wieder als Sekundärrohstoffe zur Verfügung gestellt werden. „Bis dahin sind allerdings noch weitere Forschungsarbeiten nötig, denn die mechanische Sortierung der mittels der Biolaugung gewonnenen Komponenten müssen wir in Zusammenarbeit mit Spezialist/innen für die Aufbereitung erst noch entwickeln“, so Professor Schlömann. Finden die Freiberger Wissenschaftler/innen einen Weg, die Komponenten nach der Biolaugung schnell und einfach zu sortieren, ergibt sich bisher unerreichtes Potenzial für das Recycling von strategisch wichtigen Metallen aus Elektroschrott.

Hintergrund: Biohydrometallurgische Forschung an der TU Freiberg

Biohydrometallurgische Verfahren gelten als Alternative zu pyrometallurgischen Verfahren. Die Freiberger Biohydrometallurgen behandeln die Erze mit bestimmten Bakterien und bringen so die enthaltenen Metalle in Lösung (sogenannte Laugung). Aus der wässrigen Lösung werden die Metalle dann durch organische Moleküle herausgeholt (sogenannte Solvent-Extraktion) und schließlich durch Elektrowinning auf einer Kathode als Element abgeschieden. Ein biohydrometallurgisches Verfahren ist typischerweise auf die extrem schwer löslichen Metallsulfide ausgerichtet, die durch Mikroorganismen zu den entsprechenden gut löslichen Sulfaten oxidiert werden. 10 bis 15 Prozent des Kupfers weltweit werden heute bereits auf diese Weise gewonnen. An der TU Bergakademie Freiberg erproben die Wissenschaftler/innen seit 2013 als einziges Forschungsteam an einer deutschen Universität die biohydrometallurgische Prozesskette insbesondere am Beispiel der Elemente Indium und Zink aus der Lagerstätte Pöhla im Erzgebirge, aber auch in der Reichen Zeche in Freiberg. Die dafür notwendige Versuchsanlage steht in den Freiberger Laboren und wurde von der Dr.-Erich-Krüger-Stiftung im Rahmen des Freiberger Biohydrometallurgischen Zentrums gefördert.

(Quelle: TU Bergakademie Freiberg)

 

Die Leiterplatte vor (rechts) und nach dem Biodismantling (links) - Photo: TU Bergakademie Freiberg
Photo: TU Bergakademie Freiberg

Schlagworte

BiohydrometallurgenElektroschrottEnergieEntwicklungEUForschungHandelMetallurgieRecyclingRohstoffeSchrottTU Bergakademie FreibergUSA

Verwandte Artikel

Haspelbereich des Warmbandwerks 1
17.12.2025

Modernisierung im Warmbandwerk 1 von thyssenkrupp Steel abgeschlossen

Ein Lifecycle-Service-Ansatz stellt künftig kontinuierlichen Anlagenbetrieb und hohe Verfügbarkeit sicher

Anlagen Automation Automatisierung EU Flachstahl Haspel Haspelanlage Messung Partnerschaft Produktion Service SMS SMS group Stahl Steuerung thyssenkrupp Thyssenkrupp Steel Europe Walzwerk Warmband
Mehr erfahren
Dr.-Ing. Marco Richrath
16.12.2025

Marco Richrath wird Produktionsvorstand bei thyssenkrupp Steel

Er übernimmt die operative und technologische Steuerung der gesamten Produktion der Stahlsparte des Konzerns

Aufsichtsrat Deutschland Entwicklung Industrie Innovation Karriere Produktion Stahl Steuerung thyssenkrupp Thyssenkrupp Steel Europe Thyssenkrupp Steel Europe AG Thyssenkrupp Uhde Transformation Transformationsprozess Unternehmen USA Vertrieb Vorstand Zusammenarbeit
Mehr erfahren
Korbinian Ott
16.12.2025

Ott komplettiert Doppelspitze bei Steelwind Nordenham

Korbinian Ott übernimmt die kaufmännische Geschäftsführung und führt künftig Steelwind Nordenham gemeinsam mit Dr. Andreas Liessem

Aufsichtsrat Blech Digitalisierung Dillinger Energie Energiewende Entwicklung Geschäftsführung Grobblech ING Offshore Projektmanagement SHS Stahl Steelwind Nordenham Unternehmen Vorstand Wettbewerb Windpark
Mehr erfahren
Jonathan Weber wird neuer Finanzvorstand von Dillinger und Saarstahl
16.12.2025

Wechsel im Vorstand von Dillinger und Saarstahl

Anlagen Digitalisierung Dillinger Entwicklung Finanzierung Gesellschaft Getriebe Grobblech Industrie Produktion Saarstahl SHS Stahl Stahlindustrie Technik Transformation Transformationsprozess Unternehmen Vertrieb Vorstand
Mehr erfahren
Erste Schmelze der 350-Tonnen-RH-Anlage, ausgerüstet mit Pfannenhubsystem und Fast Vessel Exchange, in Steel Plant 4 bei JSW Vijayanagar Works in Toranagallu, Indien
15.12.2025

RH-Anlage mit Pfannenhub- und -schnellwechsel-Kombination

JSW Vijayanagar Metallics Ltd. (JVML), Teil der JSW Steel Ltd., einem der führenden Stahlhersteller in Indien, hat in Toranagallu (Vijayanagar Works, Stahlwerk 4) eine 35...

Anlagen Automobil Betriebssicherheit Energie EU HZ Inbetriebnahme Indien Industrie ING JSW Steel Ltd. KI Lieferung Ltd Ltd. Metallurgie Partnerschaft Produktion RH-Anlage SMS SMS group Stahl Stahlmarkt Stahlwerk USA Vakuumbehandlung Zusammenarbeit
Mehr erfahren