Forschung
Das Stahlwerk der Zukunft, welches Ammoniak als Träger und Speicher für erneuerbare Energie einsetzt - © T. You, Max-Planck-Institut für Eisenforschung GmbH
28.04.2023

Mit Ammoniak zu grünem Stahl

Das Gas eignet sich so gut für die Eisenproduktion wie Wasserstoff, ist aber einfacher und preiswerter zu transportieren

Die Stahlindustrie ist weltweit der größte einzelne Verursacher von CO2-Emissionen. Sieben Prozent beträgt ihr Anteil am weltweiten Treibhausgasausstoß. Und die Menge an produziertem Stahl dürfte der internationalen Energieagentur zufolge sogar von heute knapp zwei Milliarden Tonnen auf bis drei Milliarden Tonnen im Jahr 2050 steigen. Daher würde der CO2-Fußabdruck der Stahlindustrie noch wachsen, wenn sie nicht von Kohle als Reduktionsmittel wegkommt, mit dem sie Eisenerz in Eisen umwandelt.

Tatsächlich verfolgen Stahlunternehmen bereits unterschiedliche Ansätze, um dieses Ziel zu erreichen. So ist es etwa möglich, Eisenerz mit Wasserstoff direkt zu reduzieren. Doch Wasserstoff wird derzeit nicht annähernd in ausreichenden Mengen erzeugt, um damit alleine die Stahlproduktion auf einen mehr oder weniger klimaneutralen Kurs zu bringen, ganz zu schweigen davon, dass grüner Wasserstoff auch in anderen Bereichen der Wirtschaft fossile Rohstoffe ersetzen soll.

Ein Szenario sieht daher vor, Wasserstoff in wenig besiedelten sonnen- und windreichen Gegenden der Welt mit Strom aus Solar- oder Windkraftanlagen zu erzeugen. Doch bislang ist unklar, wie das Gas dann dorthin gelangen soll, wo es gebraucht wird. Wasserstoff zu
verflüssigen und in Tankern zu transportieren, ist nicht nur sehr aufwendig, dafür würden auch 30 Prozent der Energie drauf gehen, die der Wasserstoff enthält. Mit Ammoniak wäre das viel einfacher, und zwar so viel einfacher, dass sich auch der zusätzliche Schritt, ihn mit Wasserstoff herzustellen, lohnen würde.

„Wir haben uns also gefragt, ob man statt Wasserstoff Ammoniak für die Direktreduktion von Eisenerz einsetzen könnte, ohne Ammoniak vorher wieder in Wasserstoff und Stickstoff aufzuspalten“, sagt Dr. Yan Ma, Gruppenleiter am Max- Planck-Institut für Eisenforschung (MPIE).

„Die Aufspaltung zu vermeiden, würde die Kosten um rund 18 Prozent senken.“

Yan Ma war maßgeblich an der im Fachmagazin Advanced Science veröffentlichten Studie beteiligt, die nun gezeigt hat, dass das tatsächlich funktioniert: Mit Ammoniak wurden rund 98 Prozent des Eisenerzes in metallisches Eisen umgewandelt – genauso viel wie bei der Direktreduktion mit Wasserstoff. Als eigentliches Reduktionsmittel wirkt dabei immer noch der Wasserstoff, der sich im Reaktor katalytisch und ohne jeglichen Zusatzaufwand bereits bei etwa 350 Grad Celsius aus dem Ammoniak abspaltet und so das auf mindestens 700 Grad Celsius erhitzte Eisenerz reduziert.

Die Forschenden stellten zudem fest, dass der Prozess mit Ammoniak genauso schnell abläuft wie mit Wasserstoff.

„Für die Industrie ist die Geschwindigkeit ein entscheidender Faktor“, sagt Prof. Dierk Raabe, Direktor am MPIE. „Wenn der Prozess
zu langsam ist, lohnt er sich wirtschaftlich nicht.“

Ökonomisch spricht für den Ammoniak auch, dass Unternehmen ihn in denselben Anlagen einsetzen könnten, die auch mit Erdgas oder Wasserstoffbetrieben werden können. Manche Unternehmen erproben die Eisenproduktion in solchen Direktreduktionsanlagen. Solange es nachhaltig erzeugten Wasserstoff noch nicht in ausreichender Menge gibt, wird Eisenerz darin mit Erdgas, Synthesegas – einer meist aus fossilen Rohstoffen gewonnenen Mischung aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff – oder anderen Gasgemischen reduziert.

„Man kann das Erdgas künftig aber je nach Verfügbarkeit durch variable Anteile an Wasserstoff oder Ammoniak ersetzen“, sagt Raabe.

Ammoniak bietet neben der besseren Energiebilanz im Vergleich zu Wasserstoff noch einen weiteren Vorteil, wie die Experimente des Düsseldorfer Max-Planck-Teams zeigten: Sobald das frisch erzeugte Eisen im Ammoniak-durchströmten Reaktor abkühlte, bildete sich an seiner Oberfläche eine Eisennitridschicht, die das Eisen vor Rost schützt.

„Das ist dann nützlich, wenn man das Roheisen zur Weiterverarbeitung transportieren muss“, erklärt Raabe. „Zum Beispiel wenn es gleich dort produziert wird, wo Sonne und Wind als Energiequellen angezapft werden.“

Wenn das mit Eisennitrid überzogene Eisen wieder erhitzt wird, um daraus etwa Stahl mit weiteren Komponenten wie Mangan oder Chrom zu erzeugen, verschwindet der schützende Stickstoff wieder.

Einen Nachteil hat Ammoniak gegenüber Wasserstoff jedoch: Er ist giftig, was in Industrieanlagen besondere Vorsichtsmaßnahmen erfordert. Die sind aber auch beim extrem schwer einzufangenden und explosiven Wasserstoff nötig.

Doch gleich ob mit Wasserstoff oder Ammoniak: Trotz der sich verschärfenden Klimakrise wird es wohl noch einige Jahre dauern, bis die Stahlindustrie im großen Stil vom etablierten Hochofenprozess mit Kohlenstoff-basierter Reduktion auf die Direktreduktion umrüstet.

„Die meisten Stahlunternehmen sind mit ihren Anlagen verheiratet, weil die Investitionskosten so hoch sind“, sagt Raabe.

„Mit Ammoniak als Wasserstoffträger wird die Barriere für den Einstieg in die klimafreundliche Stahlproduktion aber hoffentlich kleiner, zumal unsere nächsten Projekte sogar auf eine deutliche Beschleunigung der Direktreduktion abzielen.“

(Quelle: MPIe Max-Planck-Institut für Eisenforschung)

Originalveröffentlichung
Y. Ma, J.W. Bae, S.H. Kim, M. Jovicevic-Klug, K. Li, D. Vogel, D. Ponge, M. Rohwerder, B. Gault, D. Raabe: Reducing iron oxide with ammonia: a sustainable path to green steel. In: Advanced Science 2300111. DOI: 10.1002/advs.202300111

 

Schlagworte

AnlagenCO2CO2-EmissionenDirektreduktionEisenerzeEisenforschungEmissionenEnergieErdgasEUForschungGreen SteelHochofenIndustrieINGInvestitionKlimaMax-Planck-InstitutMPIeProduktionReduktionsmittelRoheisenRohstoffeStahlStahlindustrieStahlproduktionStahlunternehmenStudieTransportUnternehmenUSAWasserstoffWirtschaft

Verwandte Artikel

28.03.2024

Wie sieht die Zukunft der Blechumformer aus?

Blechumformer aus ganz Deutschland trafen sich kürzlich im niedersächsischen Dötlingen. Anlass waren die diesjährigen Mitgliedertage des Industrieverbands Blechumformung...

Automobil Blech Brenner China Deutschland DSV EU Globalisierung IBU Indien Industrie ING Produktion Schweden TEMA Transformation Umformung Unternehmen Wettbewerb Zahlen
Mehr erfahren
27.03.2024

Ausschreibungsverfahren für regionale Wasserstoffversorgung gestartet

Die SHS - Stahl-Holding-Saar (SHS) gibt den offiziellen Start eines geschlossenen Ausschreibungsverfahrens zur Beschaffung von bis zu 50.000 t lokal produziertem grünem W...

Anlagen CO2 CO2-Emissionen Dekarbonisierung Dillinger Direktreduktion Elektrolichtbogenofen Emissionen Essen EU Gesellschaft IBU Inbetriebnahme Industrie ING Klima Lichtbogenofen Produktion Roheisen Saarland Saarstahl Saarstahl AG SHS Stahl Stahlindustrie Stahlproduktion Stahlunternehmen Transformation Unternehmen Wasserstoff Wirtschaft
Mehr erfahren
27.03.2024

KI beschleunigt den Wandel in der Stahlindustrie

Der Präsident und CEO des Edelstahlkonzerns Outokumpu Heikki Malinen sprach am 26. März 2024 auf der Kundenveranstaltung von Microsoft in Finnland über die transformative...

Edelstahl Einsparung Energie EU Finnland Industrie Innovation Microsoft Nachhaltigkeit Optimierung Outokumpu Produktion Stahl Stahlindustrie Stahlproduktion USA Veranstaltung Zusammenarbeit
Mehr erfahren
26.03.2024

Die SMS group zeigt auf der wire und Tube 2024 Innovationen

SMS stellt Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Innovationskraft in den Mittelpunkt des Messeauftritts bei der wire und Tube, die vom 15. bis 19. April 2024 in Düsseldorf...

Anlagen Anlagenbau Betonstahl Dekarbonisierung Digitalisierung Draht Energie Entwicklung Erdgas EU Industrie ING Innovation Kooperation Messe Messestand Nachhaltigkeit Partnerschaft Produktion Rohre SMS SMS group SMS group GmbH Stahl Stahlindustrie Transport Tube Unternehmen Wasserstoff Wire
Mehr erfahren
„Industriepolitik first!“ fordert die Kampagne „Wir. Formen. Fortschritt“ unter dem Dach des Wirtschaftsverbands Stahl- und Metallverarbeitung (Foto Hauptgeschäftsführer Christian Vietmeyer)
26.03.2024

„Brüssel muss die Europäische Union wettbewerbsfähig machen“

Man stelle sich vor: Die Transformation ist weltweit Topthema, nur in Europa gibt es keine transformationsfähigen Unternehmen mehr. Weil fehlende Wettbewerbsfähigkeit sie...

Deutschland Energie EU EU-Kommission Industrie ING Innovation Klima Klimaschutz Metallverarbeitung Nachhaltigkeit Politik Produktion Stahl Strategie Transformation Umwelt Unternehmen Wettbewerb Wettbewerbsfähigkeit Wirtschaft Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung e.V. WSM
Mehr erfahren